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Sieben tote Katzen

Epilog: Sieben tote Katzen

Es geschah an einem verregneten Freitag im September 2013. Eine argentinische Gruppe hatte kurzfristig eine Führung durch unser kleines Freilichtmuseum gebucht. Da ich wissen wollte, was Menschen vom anderen Ende der Welt zu einem Besuch einer archäologischen Destination in der ostwestfälischen Provinz motivieren könnte, übernahm ich die Betreuung. Vielleicht hatte dies etwas mit Oswald Menghin, dem nach Buenos Aires emigrierten österreichischen NS-Kultusminister zu tun. Oder sogar mit Adolf Eichmann, den ja einiges mit der modernen deutschen Archäologie verbindet. Meine investigativen Hoffnungen wurden jedoch enttäuscht: Die Gruppe entpuppte sich als Geschäfts­reisende, die zufällig durch die am kommenden Wochenende anstehenden Wikingertage auf Oerlinghausen aufmerksam gemacht wurden. Sie hatten nicht die geringste Ahnung von den vielen politischen Leichen im Keller der deutschen Archäologie.

Der Aufenthalt gestaltete sich recht kommod und klang mit einem Bierchen am Lagerfeuer aus. Das Gespräch kam auf einprägsame archäologische Ereignisse. Einer der Argentinier berichtete ohne langes Grübeln, dass für ihn keine andere archäologische Entdeckung einschneidender war als die der siebten schwarzen Katze im Racing-Stadion. Er spielte damit auf eine Geschichte an, die in Südamerika jedes Kind kennt: Der Fußballverein Racing Club de Avellaneda Buenos Aires gewann in einer enervierenden, an Bayern München erinnernden Kontinuität die argentinische Meisterschaft. 1967 war sogar der Weltpokal für Racing fällig. Fans des konkurrierenden Clubs Independiente versuchten, diese Serie zu stoppen. Nächtens stiegen sie ins Racing-Stadion ein und vergruben
dort sieben schwarze Katzen. Dies blieb nach fester Überzeugung vieler katholisch geprägter Anhänger nicht ohne Folgen: Über eine Generation hinweg blieb Racing ohne Titel, es drohte der Konkurs. Im Lauf dieser Zeit ließen die Vereinsoberen von Racing verzweifelt nach den Katzen graben. Sechs wurden entdeckt und verbrannt, nur die siebte blieb unauffindbar. Erst 2001 tauchte die letzte Katzenleiche im Bereich eines längst verschütteten Wassergrabens auf – nach endlosen Prospektionen. Es versteht sich von selbst in einer solchen Geschichte, dass Racing diese Saison wieder als Tabellenerster abschloss.
Der Vergleich dieser Parabel mit unserem Thema hinkt auf mehreren Ebenen. Zum einen hat das Fach Archäologie selbst die geistesgeschichtlichen Leichen vergraben, die es aufzudecken gilt – nicht irgendwelche Konkurrenten. Zum anderen will hier niemand einen Pokal gewinnen. Und selbstverständlich ist schwarze Magie nur ein Symptom der Ratlosig­keit und keine Lösung. Aber ein Punkt des Gleichnisses trifft einen Kern des Problems völkischer Geschichtsmanipulation: Man bekommt sie nur aus den Köpfen, wenn man sie in allen ihren Aspekten auseinandernimmt.

Genauer als bisher betrachten sollte man vor allem die Living History. Denn hier begegnet uns eine Vermittlungsform der Zukunft mit ausbaufähigen pädagogischen Potentialen. Alle können in der lebendigen Geschichte aktiv werden. Und kein Staat kann sie kon­trol­lieren (was auch keiner zur Zeit wirklich möchte). Die Offenheit ist im Interesse eines mög­lichst gleichen Zugangs Aller zur Geschichte natürlich eine gute Sache. Sie bietet aber auch ein Einfallstor für die extreme Rechte: Ein Nazi kann sich einfach ein Katzenfell umhängen und geht damit in der Öffentlichkeit erfolgreich als Germane durch. Die Springer­stiefel muss er dazu in der Regel nicht einmal ausziehen. Schafft er es damit in eine öffentlich legitimierte Bildungseinrichtung, hat er die Chance, dass seine Botschaften sehr intensiv und mit nachhaltiger Wirkung ankommen.

Aus dem unangenehmen Hier und Jetzt scheint es keinen konkreten Ausweg zu geben, nur die Flucht in die Vergangenheit. Auf diese Weise wird man der Geschichte nicht gerecht – sie macht erst Sinn, wenn man sie nüchtern analysiert. Auch Living History kann ohne Trockeneisnebel und bombastische Orchestermusik auskommen. Sie hat im Gegenteil großartige Möglichkeiten, festzementierte Geschichte frech, ironisch und emanzipatorisch zu hinterfragen, das praktizieren in der Zwischenzeit schon einige Gruppen. Denn die beste Droge ist ein klarer Kopf.