© Bartosz Nowak

Ein ganz normaler Wikingertag

Ein ganz normaler Wikingertag

Das Slawen- und Wikingerzentrum Wolin in Polen am ersten August 2015. Im frühen Mittelalter lag hier ein bedeutender Handelsplatz, der seit über einem Jahrhundert durch archäologische Ausgrabungen erschlossen wird. 1992 entstand dort mit Mitteln der Europäischen Union ein archäo­­logisches Freilichtmuseum. Es dient jeden Sommer als Kulisse für eine der größten frühmittelalterlichen Living-History-Veranstaltungen Europas. Dieser Samstag ist ein völlig normaler Veranstaltungstag im wohl bekanntesten Event der Wikingerszene, ein unauffälliger Durchschnittstag. Besondere Vorkommnisse hatten Polizei und Medien an jenem ersten August nicht zu vermelden.

Bereits auf der Brücke, die zum Museum führt, markiert die extreme Rechte durch Aufkleber in Augenhöhe das Revier – zwangs­­läufig sicht­bar für alle Besuche­rin­nen und Besucher. Die Aufkleber stammen von der Radykalnie Poludnie, einer kleinen, sich avantgardistisch gebenden rechten Gruppe.

Aufkleber von Radykalnie Poludnie. Im Hintergrund das Slawen- und Wikingerzentrum Wolin. © Bartosz Nowak

Auf der Veranstal­tung selbst werden die Über­­zeugungen in ungeahntem Ausmaß zur Schau gestellt. Unübersehbar sind vor allem die zahl­reichen extrem rechten T-Shirts. Dem Publikum begegnet Werbung für die anti­­­semitische und holocaustleugnende Partei Narodowe Odrodzenie Polski (Na­tio­­nale Wieder­geburt Polens) in un­über­seh­barer Größe.

Hier wird der Refrain des Liedes »Obrani cel« der Band Szwadron 97 zur Schau getragen. Der Refrain fordert Großpolen für die Ewigkeit. © Bartosz Nowak

Eingefasst ist das Symbol vom Refrain des Lieds »Obrany cel« (»Oberstes Ziel«) der Rechtsrock-Band Szwadron 97. Als oberstes Ziel definiert der Text »Großpolen für die Ewigkeit«. Ein kahlgeschorener Museums­besucher bekennt sich an diesem Tag offensiv und öffentlich als Anhänger der Zadruga, einer neopaganen, faschistischen Vereinigung.

Dieses Symbol nennt man Toporzel. Es wird von den extrem rechten Organisationen Niklot und Zadruga verwendet. © Bartosz Nowak

Auf dem Rücken seines T-Shirts prangt eine Doppelaxt, die einen Adler formt. Das Symbol nennt man Toporzel. Mit dem Toporzel wurden in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre in Polen nichtjüdische Geschäfte markiert.

»14« ist ein Kürzel für die weltweit ver­brei­teten fourteen words des US-ameri­ka­ni­schen Rechtsterroristen David Lane.

Die »14« ist ein Code für einen ras­sis­tischen Glaubenssatz mit 14 Wörtern. © Bartosz Nowak

Auch dieser Code wird an dem Veran­stal­tungstag als Bekenntnis auf der Kleidung präsentiert. Der Glaubenssatz besteht aus den 14 Wör­tern »we must secure the exis­tence of our people and the future for White children« (dt: »Wir müssen die Existenz unseres eigenen Volkes und die Zukunft der weißen Kinder sichern«). Die fourteen words drücken nicht allein die Angst vor dem Untergang der kon­struier­ten weißen Rasse aus. Sie setzen auch – das zeigen die Schriften David Lanes – die Überlegen­heit der Weißen voraus und fordern strikte Ras­sen­trennung. David Lane war Mitbe­gründer der extrem rechten Wikingertruppe Wotansvolk. In der ost­­europäischen Wikinger­szene findet man auffällig häufig Bezüge zum Gedan­ken­gut und zur Emblematik des Wotans­volks. Ein anderer Kahlgeschorener posiert mit einem Silesian Style T-Shirt, das ihn in die Nähe revanchistischer Gruppen bringt.

Ein Schlesier aus dem rechten Spektrum © Bartosz Nowak

In der extremen Rechten beliebte Kleidungsmarken wie Dober­mans, Thor Steinar, European Brotherhood oder Beloyar & Svastone zählen zum Dress­code einschlägiger Festival­besucher.

Schaulaufen von in der extremen Rechten beliebten Kleidungsmarken in Wolin: Dobermans ... © Bartosz Nowak
Thor Steinar... © Bartosz Nowak
oder Svastone. © Bartosz Nowak

Dabei ver­schmel­­zen die Eindrücke: Thor-Steinar- oder Dobermans T-Shirts mit Wikinger­motiven auf der einen Seite und haken­­­kreuz­be­la­dene Wikinger­kostüme auf der anderen Seite ­kommen sich optisch so stark entagegen, dass Geschichte und rechter Live­style wie eine ästhe­tische Einheit wirken.

Das Wikingershirt der Bekleidungs­marke Thor Steinar fügt sich optisch nahtlos in das Gesamtbild der Veranstaltung ein. © Bartosz Nowak
Mehr Fantasy als Wikinger bietet dieses Shirt der Kleidungs­marke Dobermans. Für das normale Publikum verschmilzt die Botschaft dennoch mit der Museums­darstellung. © Bartosz Nowak

Auf einem Foto von diesem Veranstal­tungs­­­tag wird die optische Verschmelzung beson­ders augenfällig:

Das achtspeichige Hakenkreuz auf dem Slavic pride T-Shirt direkt neben einer Museumsinszenierung mit demselben Symbol. © Bartosz Nowak

Es zeigt einen offenbar rechtsorientieren Besucher mit einem Slavic pride-T-shirt, der hinter einem Holzthron der Museums­insze­nie­rung steht. Das acht­speichige gedruckte Hakenkreuz auf seinem Hemd mit politischer Botschaft und das acht­speichige geschnitzte Haken­kreuz auf dem Thron stehen sich un­mittel­bar gegen­über. Eine solche Schnitzerei auf einem Sitzmöbel ist aus dem Frühmittel­alter nicht bekannt.

Selbst den Kindern werden an diesem Tag bedeutungs­schwangere Bot­schaften untergeschoben.

© Bartosz Nowak

Die Runen auf Kinderschilden mit acht­speichi­gen Swas­tiken bilden den englischen Satz: We stay shieldwall like fathers. Die Kinder werden durch die gram­­matikalisch nicht ganz korrekte Inschrift spielerisch zur krie­ge­rischen Traditions­pflege und zur unver­brüchlichen Treue zu den »Vätern« verpflichtet. Auch zu diesen Schilden fehlt eine konkrete archäo­logische Vor­lage. Frappie­rend ähnelt ihre Gestaltung jedoch einem in der extrem rechten groß­­slawischen Szene benutzten Zeichen.

Auf die zahl­losen Haken­kreuze in der Präsen­tation der Frühmittelalter­gruppen an diesem Tag kann aus Platzgründen nicht ausführlicher einge­gangen werden. Deshalb nur ein Beispiel: Im Umfeld der deutschen Gruppe Ulfhednar trat an diesem Samstag ein Krieger in der Kampf­schau auf, dessen Äußeres durch ein umfangreiches Hals­collier bestach.

Collier aus zahlreichen Hakenkreuzanhängern, präsentiert bei der Kampfschau. © Bartosz Nowak