© Bartosz Nowak

Geschichtsschwind­el

Kleine Symbolkunde

Ein Symbol vermittelt den Eindruck einer kompakten, klaren Botschaft, selbst wenn es keine klare Botschaft gibt. Unter anderem deshalb sind Symbole bei der extremen Rechten so beliebt wie bei keiner anderen politischen Gruppe. Im Outfit rechter Aktivisten erscheinen mit jeder Saison neue, zunächst nur Eingeweihten verständliche Zeichen. Erklärungen der Codes und Symbole der extremen Rechten gibt es in großer Qualität und leicht zugänglich. Die »Versteckspiel«-Broschüre der Agentur für soziale Perspek­tiven ist dafür ein sehr gelungenes Beispiel. Aber selbst manche Aufklärungs­schriften über­nehmen unbeabsichtigt ahistorische Versatzstücke der völkischen Erzäh­lungen. Im Internet sind die völkischen Deutungen der frühgeschicht­lichen Zeichen meist übermächtig, die Wikipedia-Einträge sind für diesen Bereich schlichtweg katastrophal. Aufklärung scheint bei frühgeschichtlichen Themen gegen den rechten Internet-Schwarm keine Chance zu haben.

Deshalb werden hier einige als uralt apostrophierte Symbole noch einmal auf ihre ursprüng­lichen Bedeutungen hin abgeklopft.

Nur so wird das Ausmaß des Geschichtsschwindels deutlich.

Ægishjálmur

Der früheste Nachweis des Symbols stammt aus dem isländischen Galdrabók, einem okkulten Buch aus dem 17. Jahr­hundert. Dort werden dem Zeichen magische Kräfte zugesprochen: Es soll helfen, dem Gegner Angstzustände anzuhexen. An zahlreichen Stellen im Internet wird das Zeichen bis in die Wikingerzeit zurückdatiert. Dafür gibt es aber keine Belege.

 

Ægishjálmur

Das Symbol taucht beim Armanenorden auf, einer rassistischen und antisemi­tischen Weltanschauungssekte. Als Logo wurde es von der neonazistischen Svenskarnas parti (Schwedenpartei) benutzt, die von 2008 bis 2015 bestand. Auch die extrem rechte Wikinger­ge­mein­schaft Wotansvolk verwen­dete die Ægishjálmur program­matisch. Mit dem Ægishjálmur vergleich­bare Zeichen kommen aber auch in der Popkultur vor, so trägt die Sängerin Björk am linken Ober­arm ein ähnliches Tatoo, das ebenfalls im Galdrabók genannte Vegvísir.

Ægishjálmur

Hagal

Hagal war im Mittelalter eine von mehreren Be­zeich­nungen für die Rune mit dem Lautwert »H«. Das blieb auch Jahrhunderte so – bis 1902 der Ariosoph Guido von List ein neues, esoterisches Runenalphabet während einer Erblindung halluzinierte. Dort wurde »Hagal« zur »Mutterrune«. Die SS sprach der Rune mehrere neue Bedeutungen zu, zentral war die der ewigen Treue. So galt sie auf dem SS-Totenkopfring nach der Erläu­terung Heinrich Himmlers als Zeichen für die Treue bis in den Tod.

Hagal Hiag

Man hatte die Rune in der selben Zeit auch mit den völlig unter­schiedlichen Bedeutungen »All­umfassen« und »Werden und Vergehen« aufgeladen. Sie spielte sporadisch auch eine Rolle bei SS-Heiratszeremonien, die allerdings weniger ritualisiert waren, als man sich das heute häufig vorstellt. Möglicherweise gedachte man der Rune auch an Weih­nachten, sie ist auf den Jul­leuchtern angebracht. Schließlich diente sie als Emblem der 6. SS-Gebirgs­division.

Nach 1945 war sie Erkennungszeichen einzelner Neonazigruppen, etwa der »Vandalen«. Vor ungefähr einem Jahrzehnt gab es eine extrem rechte Vierteljahres­zeitschrift mit dem Titel Hagal – Die Allum­fassende. Das Organ sollte Brücken schlagen, insbesondere zwischen den okkulten Rechten. Es bezog sich auf eine gleichnamige völkisch-esoterische Zeit­schrift der Münchner Edda-Gesell­schaft, die zwischen 1930 und 34 erschien. Schließlich tauchte der Runenname in der rechten Musikszene häufiger auf, etwa bei dem Musiklabel Hagal-Records.

Irminsul

In einer Felswand der Externsteine im Teuto­burger Wald wurde im 12. Jahr­hundert ein monu­mentales Kreuz­ab­nah­me­relief einge­meißelt. Rechts unter dem Kreuz ist ein sich bie­gen­der Baum dar­gestellt. Das Bäumchen hat einen kurzen Stamm, der sich früh in zwei symmetrische Ausschläge aufspaltet. Eine solche Baum­form ist für heutige Augen etwas unge­wöhnlich, für die Menschen im Mittelalter war sie jedoch völlig normal: In der dama­ligen Nieder­wald­wirtschaft wur­den Bäume immer wieder gekappt, die neuen Aus­triebe führten zu Baumformen wie dieser. Hunderte zeit­genössischer Baum­dar­stel­lungen zeigen ebenso wie die Wald­geschichte, dass so der mittel­al­ter­liche »Normalbaum« aussah. Die spezielle Form des Baumes der Extern­steine lässt sich auch aus dem so ge­nann­ten palmette tree der islamischen Kunst Nord­afrikas, insbe­son­dere aus der ikshidischen, tulu­ni­dischen und fati­mi­dischen Kunst herleiten.

Irminsul

Symmetrische Bäume wurden ab dem sieb­ten nachchristlichen Jahrhundert als Bild für die Kreuzigung verstanden. Das Kreuz galt als Holz des Lebens. Mit dieser dop­pel­ten Lesbarkeit wollte man das simple Kreuz in seiner vielschichtigen Dimension begreif­bar machen. Dass sich das Bäum­chen auf der Kreuzigungsszene biegt, liegt nicht nur daran, dass es als Schemel genutzt wird. Dies hatte für die mittel­alterlichen Menschen wohl zwei weitere Bedeutungen: Zum einen wird dadurch die Finsternis nach dem Kreu­zigungstod dramatisiert, die auf dem Externsteine-Relief ohnehin einen beson­deren Stellen­wert einnimmt. Und zum anderen konnte man so den Gedanken an die Wiederaufer­stehung in die Bilder­zäh­lung einbauen. Denn es ist ja zu erwar­ten, dass das sich biegende Bäumchen wieder aufrichtet.

Irminsul

1929 bekam der rechtsextreme Laien­forscher Wilhelm Teudt eine ganz andere Vision zum Sinngehalt des Bäumchens. Er sah in ihm die Irminsul, eine den Sachsen heilige Holzsäule, die Karl der Große 772 zerstören ließ. Ihre Krümmung sei ein Zeichen der Niederlage des heidnischen Glaubens. Für seine Vereinigung der Freunde germanischer Vorgeschichte wählte Teudt eine zeichnerisch wieder­auf­gerichtete, vermeintliche Irminsul als Logo. Damit begründete er eine folgenschwere Bildtradition. Die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe der SS übernahm das Zeichen als ihr Wappen. Zahllose neo­na­zistische Gruppen folgten dem Beispiel. So lief etwa der 2012 verbotene Rechts­rock­sender Radio Irminsul unter diesem Zeichen. Die Artgemeischaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebens­ge­stal­tung e. V., eine völkische Welt­­anschauungs­sekte, nutzt die vermeint­liche Irminsul eben­­falls als Logo. Ebenso die Zeitschrift Sonnenbanner aus dem mut­maßlichen NSU-Umfeld. Es taucht auch bei vielen Klein­gruppen der Szene auf. Inzwischen tanzen aber auch neuheidnische Vereini­gun­gen, die sich von Rechts distan­zieren, um die vermeintliche Irminsul. Und im Reenactment wird sie emble­matisch für die Darstellung heidnischer Verhältnisse genutzt. Das macht die Aufklärung nicht einfacher.

Keltenkreuz

Man muss nur einen Ring um ein Kreuz ziehen und schon hat man ein Keltenkreuz gezeichnet. Das Zeichen wird zum so genannten Radkreuz, wenn der Ring nicht vom Kreuz geschnitten wird. Schon vor 1933 sahen Okkultisten im Radkreuz einen Vorläufer des Hakenkreuzes. Das Keltenkreuz erinnert dagegen stärker an die irischen Hochkreuze des Frühmittelalters. Erstmals als Logo einer Organisation taucht es 1943 bei der von der SS initiierten niederländischen Kulturorganisation Frankische Werkgemeenschap auf. Dort sollte es frühmittelalterlich wirken. Daneben sah man in ihm ab 1939 verstärkt ein uraltes, mindestens bronzezeitliches Symbol. Den Prototyp des Hakenkreuzes eben. Und schließlich gibt es eine dritte Ursprungslegende: Die englische Neonazi-Splitterpartei British National Party nutzte das Symbol 1960 als Logo. Sie führte es zurück auf den Brustschmuck des Her­mannsdenkmals bei Detmold. Dort fand 1959 – zum 1950sten Jubiläum der Varus­schlacht – ein internationales Treffen der extremen Rechten statt. Man erhoffte sich von der Veranstaltung die Initial­zün­dung zu einer starken transnationalen rechts­extremen Sammelbewegung namens Northern League.

Keltenkreuz

In Belgien, Frankreich, Schweden, Dänemark und Holland gab es anscheinend 1959/60 zeitgleich Ansätze, das neue Zeichen zu etablieren. Bekannt wurde es dann durch die Organisation de l’armée secrète, eine 1961 gegründete rechtsterroristische Organisation im Algerien­krieg, die tausende Morde und Folterungen zu verantworten hat. In der Bundesrepublik nutzte die militante Volkssozialistische Bewegung Deutsch­lands das Zeichen. Sie wurde in den 1970er-Jahren gegründet und 1982 verboten. Diese Ausgangslage hat dazu geführt, dass das Zeichen heute in Deutschland verboten ist. International bekannt wurde es aber vor allem durch die als Reaktion auf die Black Power Bewegung gegründete White Power-Bewegung.

Lambda

Lambda ist das Erkennungszeichen für die in Deutschland seit 2012 aktive, extrem rechte Identitäre Bewegung. Mit diesem griechi­schen Buchstaben beginnt das Wort Lake­daimonier, ein antiker Begriff für Spartaner. Denn im pathetischen Selbst­verständnis der Identitären spielt die Schlacht an den Ther­mo­pylen 480 vor Christus eine zentrale Rolle. Dort hielten angeblich nur 300 Spartaner ein großes persisches Heer auf. Die »Überfremdung« Europas war nach dieser Lesart durch jenen selbstlosen Einsatz gestoppt. Spätestens seit den Ausgrabungen an den Thermo­pylen unter Schirmherrschaft des Diktators Metaxas wurde das Ereignis – nicht nur in Griechen­land – rechts vereinnahmt.

Lambda

Die empathische Selbstvergeschicht­lichung prägt das politische Bewusstsein der Iden­titären tief. Ähnlich intensiv iden­­ti­fi­zie­ren sich manche Reenact­ment­gruppen mit der Epoche ihrer Träume. Es wundert des­halb kaum, dass Identitäre immer wieder auf die Bilderwelten des Living History zurückgreifen.

»Lebens- und Totenrune«

Runen waren im Mittelalter nicht nur Schrift­zeichen, sie spiegelten auch Begriffe. Die Elhaz-Rune mit dem Lautwert »Z« stand dabei für den Begriff »Elch« – was auch immer das damals heißen sollte. Es war wieder einmal Guido von List, der in seinem okkulten Runen­alphabet von 1902 die Elhaz-Rune als »Lebensrune« neu inter­pretierte.

Elnaz

Auf den Kopf gedreht sah er in ihr eine »Todesrune«. In der NS-Zeit wurde die vermeintliche Lebensrune vor allem bei Frauenorganisationen und von medizi­nischen Einrichtungen verwendet. Damals wie heute setzte man in der antichrist­lichen rechten Szene vermeint­liche Lebens- und Totenrunen auf Geburts- und Todes­anzeigen, um christ­liche Symbolik zu um­gehen. Interessant war die Rune als Logo auch für neonazis­tische Heidengemeinschaf­ten wie die Deutsche Heidnische Front.

 

Mäander

Lange Zeit war die griechische Partei Gol­dene Morgenröte ein Trendsetter für die extreme Rechte weltweit. Auch, weil sie wie keine andere nationale Partei inter­national prä­sent war: Die über 7 Mil­lio­nen Auslands­griechinnen und -griechen sind schließlich keine kleine Zielgruppe. Dabei etablierte sich die Partei recht erfolgreich als Marke in der Szene. Besonders durchschlagend war ihre Bild- und Geschichtspolitik sowie das Engagement im internationalen rechten Black Metal. Immer wieder fallen auch in Deutschland Shirts und Mützen mit dem eingängigen Logo der Goldenen Morgenröte auf, die keineswegs nur von Partei­mit­glie­dern getragen werden.

Mäander

Das Logo ist ein stark vereinfachter Mäander, ein Motiv, das in der griechischen Vorgeschichte seit dem Neo­lithikum ausgesprochen häufig vorkommt. Zentrale Bausteine der Geschichts­politik der Goldenen Morgenröte sind Gedenk­feiern zur Schlacht an den Thermo­pylen, bei der die Perser durch die Spartaner aufgehalten wurden. Dafür wurden die antiken Quellen Herodot und Plutarch massiv uminter­pre­tiert. Aus einem verflochtenen Mäander ein Hakenkreuz-Suchspiel zu machen, war schon bei der SS beliebt. Ähnliches lässt sich in Periodika der extremen Rechten wie der Nordischen Zeitung und im Living History beobachten.

Naudiz-Rune

Die Rune ist das Logo der seit 2007 auf­strebenden Modemarke Erik & Sons. Sie wurde als »N« ausgesprochen. Im Mittel­alter hatte sie keine heraus­ragende symbolische Bedeutung: Sie stand für »Not/schicksalhafter Zwang«. In den Sagas wird sie zu den Bierrunen und den Schutzrunen gegen Frauentrug gezählt.

Naudiz Rune

Es ist unwahr­scheinlich, dass man durch das über­dimen­sionierte Erik & Sons-Logo auf dem Rücken signalisieren möchte, dass man Alkoholiker ist, der von seiner Frau betrogen wird. Ein Natio­nal­sozialist findet die Rune vielmehr wohl deshalb attraktiv, weil »N« der Anfangs­buchstabe seiner Gattungs­bezeichnung ist.

Odal-Rune

Othala hieß die Rune Für den Lautwert »O«. Guido von List machte aus ihr 1902 die Odalsrune und verlieh ihr ebenso neue wie weitreichende Bedeutungen. Im National­sozialismus war sie das klassische Symbol für Blut und Boden. Sie diente der Reichs­bauernschaft und der Hitlerjugend als Logo. Auch die Waffen SS-Division Das Reich mordete unter diesem Zeichen. Diese Division war ein Sammelbecken für kroatische SS-Leute.

Odalsrune

Im frühen Neonazismus der Bundes­republik nutze man das Symbol recht häufig – vielleicht auch, weil kroatische Altnazis eine wichtige Vermittlerrolle bei der illegalen Auswanderung von Kriegs­verbrechern spielten. Die inzwischen verbotene Wiking-Jugend und der Bund Nationaler Studenten wählten diese Rune aber eher zu ihrem Symbol, weil sie an die Hitlerjugend erinnert. Aktuell tritt die Rune hingegen wieder häufiger im Blut und Boden-Kontext auf. Mit ihr wird in der Flüchtlingsdebatte der ewige Anspruch auf ein »ethnisch homogenes« Land markiert.

 

Ręce boga

Bei Łódź in Polen wurde 1936 ein Gefäß des 3./4. nachchristlichen Jahrhunderts aus­gegraben, das mit einem verästelten Kreuz und Hakenkreuzen verziert war. In der deutschen Besatzungszeit wurde Łódź in Litzmannstadt umbenannt (nach dem NSDAP-Mitglied und General Karl Litz­mann). Hier errichtete man das nach dem Warschauer Ghetto zweitgrößte und das am längsten betriebene nationalsozialis­tische Ghetto. Das Symbol auf dem »Urnen­fund von Litzmannstadt« wurde schnell von der Propaganda vereinnahmt. So findet sich das Zeichen 1942/43 auf massenhaft in Umlauf gebrachten Winterhilfswerks-Plaketten der Serie »Ewiger deutscher Osten«. Das Symbol transportierte zwei für die NS-Propaganda nützliche Botschaften: Zum einen ist das Gefäß der Przeworsk-Kultur zuordenbar, die damals mit dem ger­ma­nischen Stamm der Vandalen gleichgesetzt wurde. Das Renommee der Vandalen wollte die NS-Propaganda im zweiten Weltkrieg aus durchschaubaren Gründen heben. Und zum anderen konnte man mit den früh­geschicht­lichen Haken­kreuzen die Ver­heißung der Beständigkeit der national­sozialistischen Idee propa­gieren.

Receboga

Seit den 1990er Jahren erlebte das Symbol eine Renaissance bei slawischen Heiden. Dort wird es als Re¸ce boga – als Hände Gottes – interpretiert (ein Begriff, der eigent­lich Diego Maradona vorbehalten sein müsste). Was man in der Spätantike wirklich mit dem Zeichen verband, bleibt offen. Es hat jedenfalls nichts mit irgend­welchen Urslawen zu tun, sondern stammt eher aus dem provinzialrömischen Motiv­schatz. Dass das Motiv auch die Freunde des Haken­kreuzes anlockte, liegt auf der Hand. So nutzt es etwa der faschistische Slawenbund Niklot als Banner und der Sänger der Pagan-Metalband Menhir zeigt es bei Auftritten als Aufkleber auf seiner Gitarre. Im osteuropäischen Living History wird es gerne getragen und zwar – unpas­send – in der Frühmittelalterdarstellung.

Schwarze Sonne

»Schwarze Sonnen« sind der wohl absur­deste Nachkriegsmythos zur SS. Dennoch (oder gerade deshalb) entfaltet er eine enorme Wirkung. Ob der Idee einer Schwar­zen Sonne, einem unsichtbaren arischen Energiepol, vor 1945 überhaupt irgendeine Bedeutung beigemessen wurde, ist völlig unklar. Erst in der Nachkriegszeit kam das Thema in rechtsesoterischen Ro­manen richtig auf. Und erst seit den frühen 1990er-Jahren ist eine bestimmte Emblematik für die Schwarze Sonne nach­weisbar. Seitdem gilt eine Marmor­inkrus­tation im Nordturm der ostwest­fälischen Wewelsburg als Abbildung der Schwarzen Sonne.

Schwarze Sonne

Die Inkrustation hat vage historische Vor­­­­bilder. Belege für eine bewusste Auswahl des Motivs durch die SS gibt es bislang nicht. Die bekanntesten poten­tiel­len Vorlagen sind Funde aus der jüngeren Merowingerzeit, die mehrheitlich in die erste Hälfte des 7. Jahr­hunderts datieren. Meist handelt es sich um so genannte Zierscheiben, die bei Frauen an einem Gehänge links vom Gürtel herab­hingen. Gelegentlich kommt das Motiv auch auf merowingerzeitlichem Pferdegeschirr vor, dort ebenfalls auffällig häufig in Frauen­gräbern. Die Verbreitungs­schwer­punkte des Motivs liegen an Mittel- und Oberrhein sowie an der oberen Donau. Für eine bestimmte Form der Zierscheiben mit diesem Motiv kann man zwischen einer linksdrehenden Variante an der Donau und einer rechtsdrehenden am Mittelrhein unterscheiden. Zahlreiche »Schwarze Sonnen« mit Kreuz im Zentrum legen nahe, dass das Motiv damals christlich aufgefasst wurde: Als leuchtende Strahlen, die von einem Kreuz ausgehen.

Schwarze Sonne

Der Blick auf die Technik der Marmor­inkrus­tation lässt an eine weitere Vorlage denken. Das mittelalterliche Zentrum der Marmor­in­krustation war Florenz. Dort sind die für die Wewelsburg charakteristischen dunkel­grünen Inkrustationen auf helleren Verklei­dungen stadtbildprägend. In Florenz hat sich auch großflächiger Bau­­schmuck in einer Taufkapelle erhalten, der mit dem Bodenornament der Wewels­burg ver­gleichbar ist. Die Toskana war bereits in den 1920er-Jahren kultur­touris­tisch gut erschlossen und die Früh­renais­sance war allgemein ein großes Vorbild der NS-Kunst. Der Architekt der Wewelsburg wollte anscheinend mit der Boden­gestaltung die Assoziationen »ger­ma­nisch« und »Renais­sance« miteinander verbinden. Dass die Vorlagen dazu christlich waren, wurde in Kauf genom­men.

Schwarze Sonne

Thorshammer

T-förmige Anhänger sind typische Funde für das wikingerzeitliche Nord- und Osteuropa. Sie stammen vorwiegend aus Frauen­gräbern. 2014 wurde bei Købelev in Däne­mark ein solcher Anhänger mit der Runen­inschrift HMARXIS entdeckt. Das kann mit etwas gutem Willen mit »Hammer« übersetzt werden, was die alte Annahme halbwegs bestätigt, dass diese Anhänger Hämmer darstellten. Dass es diese Schmuckstücke auch in eindeutig christ­lichem Zusammenhang gibt, hindert einen Großteil der Forschung nicht, sie pauschal mit Thor in Verbindung zu bringen.

Thorshammer

Der Hammer war schließlich sein Attribut. Die Interpretation der Thors­hämmer hat in manchen Szenen eine beachtliche Eigen­dynamik entwickelt: Obwohl sie im frühen Mittelalter vor allem als Frauen­schmuck dienten, trägt man sie heute als Ausweis spezifisch männlicher Tatkraft. Und obwohl sie auch im christ­lichen Zusammen­hang vorkommen, gelten sie als das Symbol heidnischer Gesinnung schlechthin. Thors­hämmer waren bis zum ersten Welt­krieg ein Leitsymbol der völ­kischen Bewe­gung. Erst ab 1919 wurden sie sukzessive vom Hakenkreuz abgelöst. In der NS-Zeit verwendete man Thors­hämmer so gut wie nie als Symbol. Heute ist Thors­hammer­schmuck Mainstream, man findet ihn in allen politischen Spektren. Daraus zu folgern, dass ein Nazi mit Thors­hammer­schmuck ein gemäßigter Nazi ist, wäre falsch. Gerade die ent­schie­denen, gewalt­bereiten Rechten tragen den Hammer mit religiöser Inbrunst und bekommen ihn von ihren Kameraden als Zeichen ihres Eingangs nach Walhall nicht selten mit ins Grab gelegt.

Triskele

Dieses frühgeschichtliche Symbol ist nur im eindeutigen rechtsextremen Kontext strafbar und ob eckig oder rund sehr beliebt in der Neonazi-Szene, denn sie wird als dreiarmiges Hakenkreuz gedeutet. Neonazi-Organisationen wie »Blood & Honour«, der amerikanische »Ku-Klux-Klan« oder die »Gemeinschaft Deutscher Frauen« verwendeten es.

Triskele

Valknut

Im frühen Mittelalter ist das Symbol des Valknuts nahezu unbekannt. Ein recht tendenziöser Wikipedia-Artikel erklärt, dass der Knoten angeblich bereits auf dem so genannten Runenkästchen von Auzon im 7. nachchristlichen Jahrhundert vorkommt. Das lässt sich nur mit viel Wohlwollen erkennen. Auch schreibt die Enzyklopädie dem Logo des Deutschen Fußball-Bundes eine innere Verbindung zum Valknut zu, was die Fachwelt eben­falls verblüffen dürfte. Aus den kon­struier­ten Bildzu­sam­men­hängen werden weit­reichende Schlüsse zur Bedeutung des Symbols gezogen, die sich kaum von den Inter­pretationen der harten extremen Rechten unterscheiden. Interessant ist, wer solche Wikipedia-Einträge verant­wortet. Valknut-ähnliche Zeichen finden sich gelegentlich auf wikingerzeitlichen Bildsteinen, ihre Bedeutung im Früh­mittel­alter (sofern es eine solche über­haupt gibt) ist völlig unklar. In Deutschland trägt das Symbol in der Regel den Kunst­namen »Wotansknoten«.

Valknut

Richtig bekannt wurde das Symbol aber erst ab 1995 durch den US-amerikanischen Rechtsterroristen David Lane. Im Auf­nah­me­ritus zu seiner Organisation »Heiden­volk« spielte der Wotansknoten eine zentrale Rolle. Bei ihrem Aufnahme­ritual hatten die als arische Rassekrieger verstan­denen und als Wikinger kostümier­ten Neuzugänge dieses Symbol zu tragen. Es wurde als Zeichen der Kraft Odins gewertet, das die menschliche Seele zu binden und zu lösen vermag – und als Aufforderung betrachtet, dem arischen Gedanken Leben zu opfern. Lane saß selbst bis zu seinem Tod 2007 wegen Beteiligung zum Mord an dem jüdischen Moderator Alan Berg in Haft. Auf ihn gehen die in der Zwischenzeit weltweit im extrem rechten Untergrund verbreiteten fourteen words (Wir müssen die Existenz unseres eigenen Volkes und die Zukunft der weißen Kinder sichern«) zurück. Er ist auch Urheber der Abkürzung WOTAN für »Will of the Aryan Nation«. Für das Rechts­terrorismus-Konzept des leaderless resistance, dem auch der NSU gefolgt ist, steht WOTAN für den militanten Flügel im Untergrund. Auf dem Cover des Hand­buches des Wotans­volks trägt die zentrale Figur, ein Priester, einen großen Valknut auf der Brust. Das Symbol hat trotz seiner Bedeutungslosigkeit für das frühmittel­alterliche Weltbild in den letzten Jahren bei Heiden, bei Nazis und im Reenactment eine atemberaubende, globale Karriere hingelegt. Beim extrem rechten Nordwelt-Versand ist es sogar als Krawattenschmuck zu haben.